„Die sind schon so gut wie tot. Gott verdammte Scheiße, das ist ein Himmelfahrtskommando, keine Mission“, dachte BRONCO, der Kommandant der Eisläufer und Aufsichtsführende in deren Kaserne. Der ihm überreichte Auftrag war ebenso kühn wie dämlich: Drei Gestalten sollten durch die Dunkelwelt eskortiert werden. Zu einem Ort, von dem angenommen werden konnte, dass er nur das Hirngespinst eines Verrückten war. Erst vor einem Monat war ein Überlebender eines seit Monaten verschollenen Einsatztrupps aufgetaucht. Fünf Mann waren losgezogen, nur einer kam zurück – zerlumpt, verwahrlost, halb wahnsinnig. Eigentlich ein fähiger und umsichtiger Späher, aber er war nicht mehr derselbe Mann wie vor der Mission. Jetzt hatte er einen unsteten, fahrigen Blick, sprach mit brüchiger Stimme wirre und unzusammenhängende Sätze - ein nutzloses Wrack, eine Hülle, die vielleicht mit etwas Pflege noch wie ein Mensch aussah, aber keiner mehr war. Es kostete große Mühe ihn dazu zu bringen, Fragen zuzuhören und anschließend darauf auch noch sinnreiche Antworten zu geben. Mühe und Geduld. Zwei Eigenschaften, über die BRONCO in nur sehr bescheidenem Umfang verfügte. Wäre es nach ihm gegangen, hätte man dieses Gespenst wieder in die Dunkelheit zurückstoßen können aus der es heimgekehrt war. Aber es ging nicht nach ihm. Schon am nächsten Tage nach der Rückkehr aus der Düsternis hatte sich die abstruse Geschichte bei den Stadtherren herumgesprochen und der Mann wurde aus der Kaserne in den inneren Zirkel der Stadt gebracht. Seitdem hatte man nichts mehr von ihm gehört oder gesehen. Auch gut, dachte sich BRONCO. Bis jetzt.
Nun standen also drei Männer vor ihm und einer hielt ihm ein Schreiben unter die Nase, das Siegel eines Stadtherren war erst gebrochen worden. BRONCO las schnell die wenigen Zeilen zweimal durch, sie ergaben auch so keinen Sinn für ihn. Resolut wehrte er ab: „Ihr drei sollt raus in die Dunkelwelt, hm? Und braucht eine Eskorte für… was steht da? Mehrere Schlafphasen? Das ist nicht möglich. Jeder der uns kennt, weiß dass das wir Eisläufer in der Umgebung der Ortschaft bleiben und immer nur im Radius des faden Lichtscheins des Sonnensteins operieren. Von den Trupps, die sich weiter weg wagten, ist noch nie jemand zurückgekehrt.“ Er hätte sich fast auf die Zunge gebissen, denn noch während er die Worte aussprach, wusste er, dass das nicht stimmte und eine Antwort folgen würde, die ihn Lügen strafen würde. Er hatte ein einladendes Ziel angeboten, so groß wie ein Scheunentor. Mal wieder. „Das stimmt nicht“, sagte der Mann, den BRONCO vom Sehen her kannte, aber jetzt keinem Namen oder Ereignis zuordnen konnte. „Einer ist zurückgekehrt, und das beweist, dass es sehr wohl möglich ist.“ Der Kommandant schwankte ein bisschen von einem Fuss auf den anderen. „So, habt ihr wohl mehr Informationen aus ihm herausholen können als wir, was? Er schien mir eher wie ein sabbelnder Idiot, aber gut… wenn der Stadtherr das will...“ Fieberhaft überlegte er, wer von seiner Mannschaft am entbehrlichsten war, Kanonenfutter. Allesamt fähige Eisläufer, ganz ohne Frage, Weichziele hätten es gar nicht erst so weit gebracht um unter ihm zu dienen. Es musste also nach Sympathie gehen, das war schon mal gut. „Nun, zuerst hätten wir da SCHURKE1. Für Geld macht der alles, ist sogar wegen seines guten Orientierungssinnes bei längeren Erkundungs- und Kartographiertouren dabei gewesen, einmal eine mit drei Schlafphasen, länger war noch keiner…“ Jetzt biss er sich aber rechtzeitig auf die Zunge. „Und dann ist da noch SCHURKE2, ein fähiger Jäger. Sollten euch da draußen Nachtwölfe über den Weg laufen, ist er auch recht geschickt mit dem Bogen.“ BRONCO drehte sich in Richtung der Trainingsarena und schrie die Namen der beiden genannten Eisläufer in die Runde. „Herkommen! Ich habe einen Auftrag für euch.“ Schwerfällig traten zwei miteinander ringende Männer jeweils einen Schritt zurück und schlenderten zuerst durch den Sand und dann den Raum herüber zu ihrem Befehlshaber. „Eskorte- und Erkundungstour mit Schlafphase,“ erklärte BRONCO knapp. „Diese drei Männer“, und als ob es nicht schon offensichtlich genug gewesen wäre, deute BRONCO auch noch auf jeden der Besucher einzeln mit seinem kräftigen rechten Zeigefinger, „haben das Kommando. Der Befehl kommt von ganz oben.“ SCHURKE1 und SCHURKE2 sahen sie wenig beeindruckt an. „Sie sind aber zu dritt,“ meinte SCHURKE1 ungewohnt langsam. Es war unklar, ob das sein normales Sprachtempo war oder dies eine Provokation an die Adresse des Kommandanten darstellte. „Drei Personen, drei Eisläufer, so lauten die Regeln für Eskortedienste, Chef.“ Womit er auch völlig Recht hatte, dachte sich BRONCO, so lautete die Regel. Er musste jemanden vorschlagen, aber es lag allein an dem Auftraggeber diesen Vorschlag auch wirklich anzunehmen. „Die dritte ist NORAYK“, gab er schnell von sich.
„Die Verrückte? Ey, das können sie nicht machen, Chef!“, entfuhr es dem zweiten Eisläufer: „Kein Mensch arbeitet gern mit der zusammen. Die ist so…“, er wusste nicht recht, wie er den angefangenen Satz in Gegenwart der ihm unbekannten Auftraggeber beenden sollte. „Seltsam.“ Eine gute Umschreibung, ja, dachte er sich, seltsam. Das hatte er nochmal fein und geschliffen hinbekommen, seltsam traf es ganz gut. Gespannt wartete er auf die Antwort des Kommandanten. „Sie ist vermutlich die beste Kämpferin der Kaserne, nach mir selbstverständlich. Und sie hat keine Angst im Dunkeln, manche meinen sie könne sogar im Dunkeln sehen, verstehen sie?“, meinte dieser an die drei Herren gerichtet. Seine beiden Untergebenen würdigte er hingegen keines Blickes, der Hinweis zu seiner Auswahl bedeutete für ihn schon eine halbe Meuterei. Nach dem Auftrag würde er mit ihnen ein ernstes Wörtchen reden müssen. Oder auch nicht, es war so oder so höchst unwahrscheinlich, dass sie zurückfinden würden. „Sie kann im Dunkeln sehen? Das klingt aber interessant, diese Person möchte wir gerne kennenlernen“, erwiderte einer der drei Männer. Er drehte den Kopf kurz in Richtung seiner beiden Begleiter und fuhr fort: „Ich bin DANNY und genau genommen habe ich das Kommando und danach erst die beiden.“ Für diesen Einwand erhielt er gleich fünf missmutige Blicke, die er aber geflissentlich übersah. „Na schön, wie auch immer. Sie ist da hinten, sitzt immer in der dunkelsten Nische des Raumes. Ihr könnt sie haben, wenn ihr wollt, die Entscheidung überlasse ich euch“, meinte der Kommandant und deutete lässig mit dem Daumen über seine Schulter Richtung besagter Nische. „Aber seid vorsichtig, sie ist, wie SCHURKE2 schon erwähnt hat, etwas besonderes.“ Und an die beiden Eisläufer gerichtet befahl er: „Macht euch fertig, in ein oder zwei Schlafphase geht es los. Ziel, Dauer und Richtung werden euch von den Auftraggebern unterwegs mitgeteilt. Geheimauftrag. Die Belohnung ist…“, er spielte mit der Schriftrolle in seinen Händen, bevor er sie entschlossen mit der Rechten packte und sie kräftig in die offene linke Hand schlug, „… stattlich.“
„Hallo, NORAYK“ begann DANNY und setze sich an den ungemütlichen Tisch. „Es ist sehr dunkel hier, wollen wir uns nicht lieber...“
„Ich mag es dunkel“, wurde er von einer tiefen Frauenstimme unterbrochen.
„Nun gut“, setzte DANNY fort. „Wir können selbstverständlich auch hier sitzen bleiben. Ist genau so gut wie jeder andere Tisch im Raum“, log er. Es fiel ihm schwer in dieser Schwärze mehr als Konturen zu erkennen. Und wenn er jemanden nicht in die Augen sehen konnte, fühlte er sich unwohl. Seine Menschenkenntnis war in so einem Fall nicht viel Wert. Natürlich blieb noch die Stimme, aber dieser Akzent klang hart und fremd in seinen Ohren und das beanspruchte bereits einen guten Teil seiner Aufmerksamkeit.
„Haben Sie einen Auftrag für mich? Entführung? Sabotage?
Nächtlicher Überfall? Attentat auf offener Straße?“ Sie klang gelangweilt, während sie sich langsam und ganz ohne Hast einen langen Schluck aus einem Tonbecher gönnte.
„Oh, nichts derartiges, wenngleich sich doch Gelegenheiten ergeben werden sich diesen Dingen zu widmen“, fuhr DANNY unbeeindruckt fort. Er vertraute voll und ganz auf seine Redegewandtheit und sagte: „Wir brauchen eine Eskorte in die Randbereiche der Dunkelwelt, womöglich sogar darüber hinaus, und es heißt sie hätten besondere Fähigkeiten - ganz abseits ihrer Tötungsfertigkeiten, natürlich.“
Es schien ihm als funkelten nun zwei Augen in der Nische auf, wie das Lodern eines Feuers, gelblich und lebendig. „Natürlich“, sagte die Stimme. Die Langeweile war unverhohlenem Interesse gewichen.