DER SCHARLACHROTE KAISER
Nach dem Tod des Kaisers Warthelm im Sommer des Jahres 1026 blieb der Thron für nahezu drei Jahre vakant. Streitigkeiten innerhalb der Kult-Führung verzögerte die Suche nach dem nächsten Kaiser. Eine längere Vakanz war zwar nichts neues oder Ungewöhnliches, doch nie dauerte es so lange, ehe das Konzil einen Nachfolger gefunden hat. Fündig wurden die Kultisten schließlich im Osten der Firnmark; der junge Sigbjorn, Sohn des Grafen Rigmars, soll der Auserwählte sein. In ihm waren sich die Kultisten sicher, eine Wiedergeburt des Vaters aller Himmlischen, der erste Kaiser Alornus, entdeckt zu haben.
Die Krönung in Caerwent war daher eine außergewöhnlich ausufernde Angelegenheit, der hohe und niedrige Adel, die reichen Bürger und jeder der es sich leisten konnte, zog in die ferne Oststadt um diesen bedeutenden Moment beiwohnen zu dürfen. Sieben Wochen dauerten die Festlichkeiten in der Stadt – es kam schließlich nur bislang zweimal in der Geschichte Torhivs vor, dass ein Auserwählter die Wiedergeburt des ersten Himmlischen sein soll. Neben Sigbjorn, der später als Scharlachroter Kaiser in die Geschichte eingeht, existierten noch der Umbra Kaiser und die Eisgrüne Kaiserin. Die Wiedergeburt des Himmlischen war stets ein Zeichen einer goldenen Herrschaft, in der das Land prosperierte und das Volk glücklich und zufrieden lebte.
Auf die sieben Wochen Festlichkeiten folgten sieben Jahre glorreiche Herrschaftsjahre, doch auf diese folgten die sieben dunklen Jahre. Es war der Ausbruch der scharlachroten Pest im Westen, einer grausamen Seuche aus dem Tal der Horde, welche von den Händlern und Kaufleute über den ganzen Kontinent getragen wurde. Die heimtückische Krankheit schlummert erst viele Monate, manchmal auch Jahre, im Körper der Kranken, ehe sie jäh ausbricht. Ein äußerst qualvoller, unansehnlicher und plötzlicher Tod ist schließlich die Folge. Die Anzeichen der Erkrankung sind nur schwer zu deuten und es bedarf schon kultischer Wahrsagung, um die Krankheit feststellen zu können. Die Heilung ist schwierig, aber möglich – sofern sie rechtzeitig erkannt wurde und der Kult bereit ist, diese durchzuführen.
Des Kaisers Politik verhinderte zwar eine umfassende Epidemie, doch brodelte die Pest in den kommenden Jahren immer wieder auf. Der Kult deutete die Erkrankung als himmlische Bestrafung und griff daher selten ein, um einen Ausbruch zu verhindern. Meist wurde lediglich über das Haus oder dem Viertel eine Quarantäne verhängt und man wartete, bis alle Gefangenen tot waren. Nach sieben Jahren der regelmäßigen, lokalen Pestausbrüchen und nach vierzehn Jahre Herrschaft erkrankte jedoch Sigbjorn an dieser vermaledeiten Krankheit. Inmitten einer Feierlichkeit, vor den Augen des Hochadels, verstarb der Kaiser am jähen Ausbruch der Pest.
Die Wiedergeburt des ersten Himmlischen wurde durch eine Seuche dahingerafft, welche als Strafe der Götter galt. Das Reich verfiel daraufhin in eine turbulente Zeit.
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Die Pestkranken wurden, wo möglich, in ihrem Haus eingesperrt oder vor die Tore der Stadt in Lager verbannt, damit sie dort Sterben konnten. |
KRISENJAHRE
Die Kaiser und der Adel Torhivs wurden durch den Kult in ihrer Herrschaft legitimiert. Der Kult, als Sprachrohr der Himmlischen, wusste, wen die Götter zum Herrschen und wen die Götter zum Dienen bestimmten. Mit dem abrupten Tod des Scharlachroten Kaisers wankte jedoch die bisherige Legitimation. Wie lies sich schließlich erklären, dass ausgerechnet eine Wiedergeburt des ersten Himmlischen mit der Krankheit der Sünder bestraft wurde?
Der Adel beschuldigte den Kult, die Zeichen der Zeit falsch zu deuten und damit die Himmlischen zu verärgern. Der Kult beschuldigte den Adel, sündig und ehrlos zu handeln, stets auf den eigenen Vorteil aber nicht auf das Wohl der Untergebenen zu achten. Die Bürger, das einfache Volk jedoch, sah in dieser Krise jedoch, dass eine göttliche Führung nicht länger nötig war, um Herrschen zu können. Nach dem Tod des Scharlachroten Kaisers dauerte es beinahe fünfzehn Jahre, ehe der Thron erneut besetzt wurde. Mit fehlender Spitze des Reiches buhlten kleine Adeligen für mehr Unabhängigkeit und Machtzuwachs. Scharmützel und regelrechte Kriege fanden zwischen einigen von ihnen statt. Leidtragende war jedoch stets das einfache Volk, nicht die Adeligen selbst.
Mit der Krönung von Jorn im Jahr 1043 zum Kaiser des Reiches sollte zunächst Ruhe einkehren – doch das Vertrauen in die Institution der Kaiserkrone war erschüttert. Jorn sah sich vielen Schwierigkeiten gegenüber und er war stets damit beschäftigt, dass Reich zusammenzuhalten und zu befrieden. Kaum löste er ein Problem, tauchten zwei neue auf. Kaiser Jorn verstarb nach nur elf Jahren 1054. Auf Jorn folgte Ivar, doch auch dieser verstarb nach nur wenigen Jahren im Amt.
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Mancherorts erschlug das Bürgertum ihre adeligen Lehnsherren auf offenem Feld, ein anderesmal brannten Fürsten als Strafe ganze Dörfer ab. Die Krisenjahre waren blutig und chaotisch. |
DAS LETZTE KAISERJAHR
Nach zwei kurzen Kaisern herrschte erneut eine etwas längere Vakanz, ehe das Jahr 1060 begann. Im Frühjahr wurde Elias zum Kaiser gekrönt. Als Sohn des niederen Adels sprach man ihm zu, die Kluft zwischen Adel, Kult und Bürgertum überwinden zu können. Nach den krisenhaften Jahren sehnte sich das Volk nach Frieden und Ruhe. Es schien, als könnte Kaiser Elias diesen Erwartungen gerecht werden. Mit klugen Schiedssprüchen versöhnte er einige seiner Vasallen, andere konnte er durch kluges taktieren neutralisieren. Kein Pestausbrauch wurde in diesem Jahr vermeldet und auch die Beziehung zum Kult normalisierte sich wieder.
Doch wie die jüngere Geschichte zeigt - die Tage von Kaiser Elias Herrschaft waren schon bei seiner Wahl gezählt. Der einflussreiche Großherzog David von Haewen sah sich selbst als der nächste Kaiser und war außer sich, als der Kult ihn überging und Elias bestimmte. Der Großherzog, rachsüchtig wie er war, schmiedete seinen Plan. Es war schließlich kurz vor Wintereinbruch, als der Kaiser seine Fürsten zu einem Gelage lud, um das ausgehende gute Jahr zu feiern. Die Festlichkeit war ausgelassen, es wurde viel getrunken und gelacht, denn seit langem spürte man, dass sich die Zukunft bessern würde.
Der nächste Morgen zerstörte jedoch die Hoffnung, als der Kaiser tot in seinem Zimmer aufgefunden wurde. Schlimmer noch, der tote Leichnam war zerschunden und hergerichtet, als wäre er an der scharlachroten Pest gestorben. Ehe der Tote jedoch genauer untersucht werden konnte, verbrannte man ihn in Windeseile. Natürlich, um eine weitere Verbreitung der tödlichen Krankheit zu verhindern, sagte man.
Der Großherzog nutzte diese Gelegenheit und krönte sich selbst an Ort und Stelle zum Kaiser. Er gab an, dass der Kult seine Wahl voreilig getroffen habe und das Vertrauen der Himmlischen verloren habe. Wie sonst solle man erklären, dass nun ein zweiter Kaiser der Pest erlegen ist? Der Kult ist nicht mehr in der Lage über die Geschicke des Landes zu entscheiden und so nehme er nun die schwere Last auf seine Schultern, die Kaiserkrone zu tragen. Der Großherzog versprach, im kommenden Jahr einen Adelsrat einzuberufen, welcher zukünftig über die Wahl des kaiserlichen Nachfolgers bestimmen sollte.
Der Zeitpunkt dieser Krönung war klug gewählt, beinahe als wäre es geplant; das Wetter ließ es gerade noch zu, dass die Fürsten mit dieser Nachricht abreisen konnten, nicht jedoch um Truppen ins Feld zu führen. Kaiser David hoffte, diese Zeit nutzen zu können um den Kult diplomatisch auszubooten.
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Der Ablauf der Belagerung Caerwents lässt sich nicht genauer nachvollziehen. Die siegenden Bürger berichten von einer spontanten Selbstzerstörung der Stadt, der unterlegene Adel zeichnet ein äußerst blutrünstiges Bild von wahnsinnigen Revoltierenden. |
DIE REVOLTE DER BÜRGER
Die eigenmächtige Krönung, der seltsame Tod des Kaisers - dies entzündete schließlich ein schon länger schwelendes Feuer im Reich. Die Städte erhoben sich, um – zunächst – den selbsternannten Tyrannen, Kaiser David, abzusetzen. Schon bald, angetrieben von der eigenen Stärke, kämpfte man jedoch um die Unabhängigkeit und die Absetzung des Adels. Seine einzige Errungenschaft der letzten Jahrzehnte war es, dass Chaos weitersprießen zu lassen statt den Landfrieden zu wahren. Auch der Kult verlor das Ansehen des Volkes. Glaubte man einst, dass die Himmlischen von Alornus, dem ersten Kaiser, abstammten, strich man diesen aus dem religiösen Aufbau und degradierte ihn zurück zu einem gewöhnlichen Menschen. Fortan waren die kultischen Kleriker angewiesen, den neuen Glauben zu predigen.
Angelockt von den ersten Siegen der Bürgerlichen, strömte immer mehr einfaches Volk in die Heerscharen gegen den Adel. Der Feldzug gipfelte schließlich in der Belagerung Caerwents, der alten Kaiserstadt. Die führenden Bürger, die sich gemeinsam als For’klanen ausgaben, forderten die Abdankung des Kaisers und die Einsetzung einer gewählten Oligarchenriege. Es sei nun Sache des einfachen Mannes, sein Schicksal zu bestimmen und nicht länger Aufgabe der Himmlischen, des Kultes oder des Adels.
Was nach dem Ultimatum geschah ist für niemanden konkret nachvollziehbar. Die Überlebenden, fast ausschließlich die Streitkräfte der For’klanen, berichteten von einem gleißenden Licht, welches die Stadt verschlang und nichts als Schutt und Asche zurückließ. Viele erblindeten, manche starben noch Tage später am Schock des Gesehenen. Ganz gleich welches Schicksal die Kaiserstadt ereilte – die For’klanen gingen aus ihrer Revolte siegreich hervor.
Nach dem sich die Städte vom Joch des Adels befreiten, erlebte der Kontinent tatsächlich eine ertragreiche Wachstumsphase. Doch dort wo der Nachbar reicher wurde, missbilligte man ihm diesen Wohlstand. Die For'klanen zerstritten sich und so bekämpften sie sich gegenseitig. 1197 n.K. gelang es Aldred im Westen des Kontinents ein neues Königreich auszurufen. Er nutzte den Streit unter den Städten aus um seinen Einfluss zu stärken und unterwarf weite Teile des Westens. Heute, im Jahr 1238 n.K., ist das westländische Reich äußerst einflussreich. Derzeit ist die weitere Expansion gestoppt, da Aldred krank und alt geworden ist. Doch seine Söhne lechtzten bereichts danach, den Osten zu unterjochen.