Die Neunziger Jahre - Teil 1 - : Genosse der Gosse
Die Neunziger Jahre ... wie wurden sie herbeigesehnt. Denn der beachtliche wirtschaftliche Aufschwung des vergangenen Jahrzehnts hat das Babylonische Friedensprojekt dennoch nicht entscheidend nach vorne katapultiert. Das Raumschiff nach Alpha Centauri ist von einem Start weit entfernt, die russische Hegemonie zur See hat bedrohliche Ausmasse angenommen, und Deutschland macht sich bereit, das DRS Friedrich ins All zu senden. Unter diesem Eindruck hat sich der Große Rat der Werktätigen auf ein gefährliches Experiment eingelassen: Donaldiku Trumsch wurde zum Ersten Genossen ernannt. Sein unbestrittenes Talent, verschiedene Fraktionen hinter sich zu versammeln, sicherte dem Demagogen den Sieg, und seine Anhänger bejubelten das "strahlende Zeitalter", in dem der babylonische Turm endlich einmal seinen Mörtel abklopft.
Trumsch keilte im Siegesrausch gleich einmal gegen die politische Konkurrenz. Endlich sei das "Filirum-Larum" vorbei: "Sehen wir uns doch eimnmal an, was Genosse Christianos in den vergangenen Jahren geleistet hat", höhnte er bei seiner Antrittsrede. "Eine Stadt bei Swerdlowsk dem russischen Bären zum Frass vorgeworfen. Ein Raumschiff ohne Struktur und Perspektive. Banken in Griechenland, die wir längst teuer vom kommunistischen Steuerzahler querfinanzieren müssen. Na gut, OK, er hat Botoxia Gök in die Charts gebracht. Aber ganz ehrlich, wer hört diesen Mist?" Großes Vergnügen herrschte am Großen Turm in Buchara, den der neue Erste Genosse gleich zu seinem Amtssitz auserkor (und ihm einen passenden Namen verpasste).
Die Clique um Chriostianos Filira bekam es mit der Angst zu tun. Trumsch Griff nach der Atombombe, soweit war sich Filira klar, ließ sich kaum noch verhindern. In letzter Minute versuchte er den Populisten wenigstens für demokratische Reformen zu gewinnen: Er solle sich doch wenigstens für die Abschaffung des schwerfälligen und undurchschaubaren Rätesystems aussprechen. Doch da war er bei Donaldiku Trumsch an der falschen Adresse: "Quatsch. Ich bin ein überzeugter Kommunist. Schon immer gewesen. Solange die mich brav wählen ..." In seiner Heimatstadt Ninive versprach Trumsch gar, die bislang sträflich vernachlässigte Nigris-Halbinsel stärker in den Fokus zu nehmen: "Das ist die Wiege unserer babylonischen Kultur. Raus mit den ganzen Ausländern, die sich da in Ashur und Uruk auf unsere Kosten einen faulen Lenz machen. Das Dreistromland den Dreiströmlern. Hey, überhaupt ist das Dreistromland im Rat unterrepräsentiert." Und sogleich ließ er 20 neue Räte nachnominieren: Die Fraktion der Arbeiterschaft NNG (Neuphrat-Nigris-Gelber Strom) war geboren - und mit ihr neue Unterstützer für den Genossen der Gosse, die in Ninive ihr Idol frenetisch feierten.
Eine erste Amtshandlung bewegte Trumsch dazu, den Russen eine deutliche Warnung zukommen zu lassen. Stalins Schlachtschiffe, die sich in bedrohlicher Massierung Akkad näherten, wurden durch einen Bomberangriff entscheidend dezimiert. Trumsch fand das zum Schreien komisch. Dabei gestand er im kleinen Kreis seiner Vertrauten: "Ich habe nichts die gegen die Russen. Hey, ich mag Stalin irgendwie. Er ist ein Saukerl, aber immerhin kein Weichei à la Filira. Irgendwie imponiert es mir, daß er immer wieder versucht, Babylonien zu erobern. Diese Hartnäckigkeit muß man anerkennen."
Und noch ein Herzensanliegen bewegte den Genossen Trumsch: Nach jahrzehntelanger Gefangenschaft wurde im Sommer 1990 der alte, in den letzten Jahren zunehmend verstummte Abacuc Doldusch, die einstige Politgröße der PDS (Partei der Sprachentwirrer) aus dem Gefängnis von Babylon entlassen. Trumsch persönlich holte Doldusch aus seiner Zelle ab und sprach lange mit dem Hardliner vergangener Tage: Über die Weltlage, die Chancen und Risiken einer atomaren Bewaffnung und seine einstigen Duelle mit N.F. Enkidurt und Timur Gök. Für Trumsch ein bewegendes Treffen: "Was für ein alter, gerissener Sack. Solche Leute brauchen wir. Die Räterepublik wird noch dankbar dafür sein, daß ich Opi in mein Team hole." Und landauf, landab fragten sich die Menschen, was das zu bedeuten hat. Wofür braucht Trumsch den verbitterten Doldusch? Oder will er sich nur die vollständige Unterstützung der Sprachentwirrer sichern?