Wie nicht anders zu erwarten, hatte auch der Vinsalter Palast einen eigenen Tempelkomplex; Tempelkomplex, das klang so groß und Rhian hätte nie damit gerechnet, dass es sich hierbei um etwas anderes handeln konnte als um das, was sie bereits kannte: Verwirrende Gänge, hohe Hallen, teure, aber hässliche und unpassende Bilder und jede Menge schimmerndes Gerümpel.
Sie hatte falsch gedacht, und zwar gründlich. So war der Vinsalter Hoftempel keineswegs groß und protzig, sondern kleiner, unauffälliger und wesentlich schöner, eine einzige Kuppel aus weißem Marmor, etwas abgelegen in den Gärten des Palasts versteckt. Unter dieser Kuppel befanden sich vierundzwanzig Säulen, die die zwölf Eingänge flankierten und nebenbei das Dach trugen, und über jedem Eingang befand sich eine Inschrift, die den Reisenden in altem Bosperan von einem der zwölf Götter grüßte.
Rhian wählte den Eingang des Phex, da sich nach ihrem Glück heute Hesinde auf genau der anderen Seite befunden hätte. Inzwischen hatte sie sich auch wieder beruhigt, zumindest ein wenig. Nach einem Irren durch den Palast begab sie sich auf den Weg, um ein besonderes Pergament mitzunehmen, und spielte für einen Moment mit dem Gedanken, die Dienerin zu suchen und es ihr unter die Nase zu halten, ehe sie ihn schnell wieder verwarf. Sie kannte nicht einmal den Namen der Frau und der Palast war riesig. Da kam ihr ein anderer Gedanke: Vielleicht wäre es ja besser, wenn sie sich erst einmal ihren Bereich ansah, an dem sie wirken sollte. Das stand sowieso noch an und Carro wäre viel wirkungsvoller zusammenzustauchen, wenn sie dabei ihre Hohepriesterinnenrobe trug… und vielleicht ein Objekt der Rondrakirche, wer weiß?
So hellte ihre Stimmung etwas auf und wechselte von ärgerlich/frustriert zu frustriert/kampfeslustig; armer Carro, was er doch alles verdient hatte, vielleicht wäre ein Ingerimm-Hammer statt eines Schwertes doch die bessere Wahl.
Mit einem breiten, wenn auch keineswegs Vertrauen erweckenden Grinsen betrat sie den Tempel, wobei sie das Knarren der Tores empfing und ein starker Dunst aus Staub, Weihrauch und irgendetwas Süßlichem ihr in die Nase stieg, dass sie einen Moment innehalten musste.