„Ob es in Bruodar vor dem Ausbrennen ebenso zuging?“ Das gibt es doch nicht! Gerade hatte sich Zordoz wieder beruhigt und seine Kleidung glattgestrichen, da störte ihn sein junger Begleiter erneut. Warum hört er nicht einfach auf damit? Zordoz schnaubte ungehalten. Er hatte es ihm doch erklärt: Sonnweiler war dazu verdammt über kurz oder lang ausgelöscht und im ewigen Eis eingeschlossen zu werden. Der Stein wurde instabil, er würde von innen verglühen und wenn nicht aus heiterem Himmel ein neuer in den Krater fiel, war es das mit der Stadt. Das musste selbst in seinen noch jungen, beschränkten Schädel gedrungen sein. Kein Mensch konnte derart ignorant sein! Ihnen blühte dasselbe Schicksal wir Bruodar.
Zordoz war des Gesprächs müde. Die Neugier des Jungen kostete ihn zusätzlich Nerven, und so kehrte er die Frage einfach um: „Was weißt du denn schon darüber?“
„Nun, Meister Metalla erzählt seinem Schüler, dass Lichtdiebe dort den Stein zuerst zum Aufblitzen und dann…“
Zordoz fasste sich an Kopf: "Felb! Felb! Wovon redest du? Lichtdiebe? Zwitter aus Feuer und Mensch, die eine ganze Stadt zerstört haben sollen? Wer soll denn dieses Hirngespinst glauben? Das sind Märchen, um Kinder zu erschrecken!“ Er äffte den Tonfall seiner ehemaligen Amme nach: „Iss auf, kleiner Mann, sonst kommt der Lichtfresser! Geh zeitig schlafen, sonst kommt der Lichtfresser!“
„Aber… am Stein habt ihr doch selbst gesagt…“
Zordoz‘ Miene verfinsterte sich und er wurde ernst: "Lichtdiebe gibt es nicht wirklich, mein Junge! In meinem ganzen Leben als Lichtschmied bin ich noch keinem einzigen solchen Wesen je begegnet. Jede einzelne, unglückliche Gestalt, die dafür im See ertränkt wurde, war eine arme Seele, die überhaupt nichts verbrochen hatte. Das sind Sündenböcke, verstehst du? Eine Ausflucht, weil die Menschen die Wirklichkeit nicht wahrhaben wollen: Der Stein entlädt sich in immer schnelleren Schüben. Unter seinem Mantel verbrennt er von innen. Wo das Licht kann, sucht es einen Weg nach Draußen. Nichts anderes ist dieses ständige Geblitze. Metalla hat doch keine Ahnung. Bald wird er so heiß sein, dass der Kern und mit ihm das Licht schmilzt. Er wird erlöschen – nicht beim nächsten Schellenschlag, nicht beim übernächsten, aber schon bald. Er hat sein Lebensende erreicht, da muss kein Lichtfresser mehr nachhelfen. Die Leute können so viele Menschen ertränken wie sie wollen, es wird sie nicht retten.“
Felb schluckte, offenbar fiel es ihm schwer, das Gesagte zu glauben und zu verdauen. „Aber… kann man nicht… kann man denn dann nicht einfach den Mantel abnehmen, wenn…?“ Zordoz winkte ab. „Sicherlich. Zumindest glaube ich das. Aber dabei könnte auch genauso gut der ganze Krater in die Luft fliegen und dreimal darfst du raten, welcher Lichtschmiedmeister keine Hand an den Stein legen lässt. Außer, um die schwarzen Brandblasen abzukratzen. Nein, sie gehen lieber sehenden Auges in die gewisse Finsternis als blind nach dem Licht zu tasten." Felb starrte düster und niedergeschlagen auf den Boden der Kutsche, sodass Zordoz es für nötig befand, seinem Zögling etwas Trost zu spenden: „Ich sage dir was: Du kannst dich entweder darauf vorbereiten und Vorkehrungen treffen, wie es die feinen Stadtherren tun. Dann kannst du nach dem Ausbrennen des Steines vielleicht noch eine kurze Zeit lang in irgendeinem Erdloch dahinvegetieren. Vielleicht bleibt genug vom Kern übrig, um Mal ein Feuer zu machen. Oder aber…“, sagte er nach einer kurzen Unterbrechung, „du genießt einfach ohne Reue die uns allen noch verbliebene Zeit und suchst dir ein nettes Mädchen oder einen vollen Weinkeller. Beides geht natürlich auch.“ Dabei zwinkerte er Felb aufmunternd zu, worauf der scheue, gehemmte Jüngling errötete und verschämt wegschaute.